KI im operativen Netzbetrieb: Intelligente Systeme als Gamechanger

Von Kai Sölter, CTO der Kraftwerk Software Gruppe
Künstliche Intelligenz ist längst kein Zukunftsthema mehr – sie ist im operativen Netzbetrieb angekommen und leistet wertvolle Unterstützung. Während KI bislang vor allem zur Automatisierung administrativer Prozesse, zur Erstellung von Berichten oder in der Kundenkommunikation eingesetzt wurde, beweisen diese Technologien nun ihr Potenzial direkt im Feld. Ein großer deutscher Netzbetreiber nutzt bereits das KI-gestützte Mobile Workforce Management der Kraftwerk Software Gruppe, mit dem die Qualität und Effizienz der Einsätze signifikant deutlich gesteigert werden konnte. Dies zeigt, dass KI nicht nur eine Ergänzung ist, sondern das Potenzial besitzt, zentrale Abläufe im Netzbetrieb zu revolutionieren.
Herausforderungen in der Praxis: Sprachbarrieren und Dokumentationspflichten
Viele Versorgungsunternehmen und Stadtwerke arbeiten im operativen Netzbetrieb mit externen Dienstleistern zusammen. Diese Fachkräfte bringen zwar technisches Know-how mit, doch oft bestehen Sprachbarrieren. Besonders in sicherheitskritischen Bereichen der Netzinfrastruktur müssen Vorgaben jedoch präzise eingehalten werden. Die entsprechenden Dokumente sind aber in der Regel für ein deutsches Unternehmen in deutscher Sprache verfasst. Das Problem dabei ist nicht nur, dass die Monteure vor Ort gegen Richtlinien und Vorschriften verstoßen können. Fehler, die durch mangelndes sprachliches Verständnis der technischen Dokumentation entstehen, können gerade im Mittel- und Hochspannungsbereich weitreichende Folgen haben oder sogar lebensgefährlich sein. Durch den Einsatz von Large-Language-Modellen (LLM) und generativer KI konnte diese Herausforderung gelöst werden. Alle relevanten technischen Dokumentationen wurden dazu in die KI hochgeladen. Die KI übersetzt solche Informationen anschließend in eine eigene Metasprache und kann sie dann mehrsprachig bereitstellen. Monteure können so auch im Einsatz vor Ort ihre Anfragen in ihrer Muttersprache stellen und erhalten präzise Anweisungen – inklusive direkter Verweise auf Originaldokumente.
Ein entscheidender Vorteil ist die Möglichkeit, diese Informationen direkt in den Arbeitsablauf zu integrieren. So lassen sich Missverständnisse vermeiden, und die Effizienz der Einsätze wird deutlich erhöht. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen verstärkt auf internationales Personal zurückgegriffen wird, ist dies ein kritischer Erfolgsfaktor. Besonders vorteilhaft: Die KI kann auch offline genutzt werden. Moderne Endgeräte mit KI-fähigen Chips bieten den Zugriff auf relevante Daten selbst bei fehlender Internetverbindung. So erhalten Monteure auch an schwer zugänglichen Einsatzorten – etwa in Kellerräumen oder abgelegenen Trafostationen – die notwendigen Informationen.
Trainiert wurde die Sprach-KI mithilfe eines eigens entwickelten „Vector Store“, einem hochdimensionalen Netzwerk aus Begriffen und ihren Beziehungen. Dies ermöglicht eine kontextsensitive Bereitstellung von Informationen in Echtzeit. Man kann sich das wie eine Ermittlungswand in einem Krimi vorstellen, auf der alle Hinweise mit Fäden verbunden sind. Wenn dabei Begriffe wie „Zähler“, „Smart Meter“, „intelligentes Messsystem“, „Zählerstand“ oder „Einspeiser“ miteinander in Beziehung gesetzt werden, bildet sich nach und nach ein komplexes Netzwerk aus Bedeutungszusammenhängen. Dieses mehrdimensionale Geflecht von Begriffen und ihren Beziehungen untereinander bildet dann die Grundlage für die Arbeit der KI.
KI-basierte Assistenz im Feld: Mehr als nur ein Helfer
Darüber hinaus spielt die KI eine entscheidende Rolle in der Mustererkennung. Bild- und Videodaten können so automatisch analysiert werden. Dazu muss sie mit einer großen Anzahl an Bildern und Daten gefüttert werden und beigebracht bekommen, was richtig und was falsch ist. Das hilft der KI, neue Zusammenhänge zu erkennen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Die KI erkennt nun zum Beispiel Datenschutzverletzungen in Dokumentationsfotos, extrahiert Seriennummern oder Zählerstände. Ein wichtiges Thema ist hier beispielsweise auch die Erkennung von Abgangsbezeichnungen in elektrischen Anlagen im Zusammenhang mit dem §14a des Energiewirtschaftsgesetzes und der Digitalisierung im Niederspannungsnetz.
Darüber hinaus identifiziert die Lösung aber auch bauliche Mängel. So lassen sich Fundamentschäden an Trafostationen, Korrosion an elektrischen Anlagen oder defekte Wartungsklappen frühzeitig erkennen. Ein weiterer Vorteil solcher Anwendungen ist, dass die mobilen Endgeräte der Monteure ohne Internetverbindung genutzt werden können. Die erfassten Daten oder erkannten Schäden werden erst dann an die übergeordneten Systeme übermittelt, wenn das Gerät wieder eine sichere Kommunikationsverbindung aufgebaut hat.
Vom operativen zum strategischen Asset Management
Das Potenzial der KI geht jedoch weit über die Unterstützung bei Wartungseinsätzen hinaus. Die systematische Erfassung von Bestandsdaten vor Ort bildet eine wertvolle Grundlage für das strategische Asset Management. Beispielsweise lassen sich durch KI-gestützte Analysen Korrelationen zwischen Hersteller, Bautyp und Baujahr von Netzkomponenten ermitteln. Diese Daten erlauben eine präzisere Vorhersage von Störanfälligkeiten und tragen dazu bei, Instandhaltungs- und Investitionsentscheidungen fundierter zu treffen. Durch die Verknüpfung dieser Informationen mit bestehenden Systemen wie etwa dem strategischen Asset Management können Netzbetreiber langfristige Strategien entwickeln. So wird beispielsweise durch den Abgleich historischer Störungsdaten mit den erfassten Bestandsinformationen ersichtlich, welche Anlagentypen anfälliger für Ausfälle sind. Dies ermöglicht eine vorausschauende Planung und reduziert die Notwendigkeit ungeplanter Reparatureinsätze, was letztlich die Betriebskosten senkt.
Offene Systeme für eine flexible Zukunft
Um Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern zu vermeiden, setzt Kraftwerk Software auf offene KI-Lösungen. Ein eigens entwickelter KI-Store erlaubt die Integration von Drittanbieter-Software, sodass neue Workflows und Anwendungen flexibel ergänzt werden können. Durch diese Offenheit können auch kleinere Stadtwerke und Versorgungsunternehmen von den neuesten Entwicklungen profitieren, ohne hohe eigene Entwicklungskosten tragen zu müssen. Und das nicht nur im Bereich der Stromnetze, sondern prinzipiell auch beim Betrieb aller anderen kritischen oder unkritischen Infrastrukturen.